AKI-Festschrift 1989

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AKI Festschrift 1989

25 Jahre Fort- und Weiterbildung im Stuttgarter Raum


hier ein text von clara aus der 1. AKI-Festschrift 1989

Clara E. Müller

25 Jahre Fort- und Weiterbildung im Stuttgarter Raum

Der Arbeitskreis für Information - AKI - feierte sein 25-jähriges Jubiläum und stellte es unter den Titel:

25 Jahre Fort- und Weiterbildung

Ich schalte meine Erinnerungen auf das Jahr 1964 zurück und überlege, was damals in Stuttgart und in Deutschland an Dokumentation und Information vorhanden war.

Zunächst ist festzustellen, daß man in jenen Jahren eigentlich nur von Dokumentation gesprochen hat. Die Auslegung des damals noch relativ neuen Begriffs besagte: Dokumentation sei das Zusammenholen und Sammeln von Erkenntnissen, Fakten, Daten, deren Bereithaltung durch systematische Speicherung, die Weitergabe auf Anfrage oder als gezielte Information zu Forschung und Enticklung. Man betrachtete also Bereithaltung und Weitergabe, die sich gegenseitig bedingenden Tätigkeiten, als eine Funktion; man ahnte noch nicht, welche dominierende Rolle die Information - insbesondere durch Entwicklung der technischen Hilfsmittel - einst spielen würde.

Im Jahre 1941 - also 23 Jahre vor der Gründung des AKI - hatte ich mit einer Dokumentationstätigkeit auf dem sehr umfassenden Sektor Bauwesen begonnen. Für diesen Bereich bestand - wenigstens in Deutschland - noch keine Arbeitsstelle, doch Bedarf. Es war Krieg, eine Umschau im Ausland nicht möglich. In Berlin gab es die Deutsche Industrie Norm (DIN), den heutigen Deutschen Normenausschuß, der bereits 1927 einen Fachnormenausschu8 Bibliotheks-, Buch- und Zeitschriftenwesen ins Leben gerufen hatte; er war eine neutrale, helfende, vermittelnde Stelle für alle, dle um jene Zeit mit Dokumentationsarbeit begannen. Zwar wurde 1941 eine Deutsche Gesellschaft für Dokumentation gegründet, sie war jedoch durch die Kriegsverhältnisse nicht in der Lage, geplante Aufgaben und Ideen zu realisieren. Sie löste sich bel Kriegsende auf. So war es der Deutsche Normenausschuß in Berlin / West, der unmittelbar nach Kriegsschlu8 - erstaunlicher- und glücklicherweiße - die Erlaubnis erhielt, für das geteilte Deutschland weiterzuarbeiten. Er rief die Interessierten in seine verschiedenen Arbeitsausschüsse, in denen sie sich kennenlemten. Die Berufsbezeichnung war ”Dokumentalist”, im Anklang an die im Ausland gebräuchliche Version ”documentalist”. Es fanden Arbeitstagungen in Berlin / West, häufig in Düsseldorf, auch in Frankfurt und Wiesbaden statt, aber auch in Berlin / Ost, wodurch auf breiter Basis Kontakt gepflegt werden konnte und Meinungsaustausch möglich war. Es wäre nun aber falsch zu denken, daß die 40er Jahre der Anfang der Dokumentation seien. Es sind mir aus den 30er und sogar aus den 20er Jahren Bestrebungen, Gruppen und kleinste Grüppchen bekannt, deren Arbeiten mit Recht der Dokumentation zugerechnet werden dürfen; sie alle befaßten sich irgendwie mit der Sammlung von Fakten, deren Weitergabe bzw. Austausch von lnformationen. Sie alle entwickelten Systeme zur technischen Durchführbarkeit ihrer Gedanken. Auch sie waren nlcht die Ersten.

Denken wir nur an das Mittelalter unserer eigenen Geschichte, so finden wir auf Bildern Gelehrte oder Mönche dargestellt, mit dem Buch in der Hand und dem Zettelkasten neben sich. Und wlr kennen alte Berichte und Beschreibungen, z.B. von Forschungsreisenden, in denen sehr wohl auf anderweitig gemachte Erfahrungen hingewiesen wird. Und auch in überkommenen Disputationsberichten, z.B. in theologischen, mangelt es nicht an Beweisen für Dokumentation. Doch verlassen wir Spekulationen und wenden uns wieder der eigenen Zeit zu Auf der Spurensuche kommen wir bis zum Jahr 1895 zurück, als in Brüssel ein Institut Internationale de Bibliographie (IIB) gegründet wurde, aus dem in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts das lnstitut Internationale de Documentation (IID) wurde und schließlich 1937 die Fédé ration Internationale de Documentation (FID) in Den Haag. 1805 ist für mich das Gründungsjahr der modernen Dokumentation und es ist beglückend zu wissen, daß von allem Anfang an eine Reihe von denkbar interessierten Deutschen, insbesondere aus dem Bereich der Bibliotheken, mitgearbeitet hat. Als vorwiegende Aufgabe wurde dle Bereitstellung elnes Ordnungssystems betrieben. Ordnungssysteme lassen sich für jedes Interessengebiet erfinden. Auf meinem Sektor der Baudokumentation z.B. waren noch Ende der 40er Jahre aus Mitteleuropa mehr als 60 Systeme bekannt. Alle hatten nur lokale Bedeutung und waren an die Sprachgrenze gebunden. In Brüssel wurde das von dem Amerikaner Melvil Dewey entwickelte dezimale System übernommen, dass universale und universelle Möglichkeiten bietet. Durch Weiterentwicklung der Grundidee, steten Ausbau und Übersetzung in die deutsche Sprache, wurde es zu der vom Deutschen Normen- ausschuß, Berlin, herausgegebenen Dezimalklassifikation (DK). Im Jahr 1948 wurde dle Deutsche Gesellschaft für Dokumentatlon (DGD) zum zweitenmal gegründet. Auf den jährllchen Arbeits-, später Jahrestagungen war nun regelmäßg Möglichkeit gegeben, neue Probleme, aber auch gute Erfahrungen kennenzulernen. Die 3. Jahrestagung fand in Stuttgart statt 1951. Der einzige damals zur Verfügung stehende grö8ere Saal, war im Kurhaus Bad Cannstatt. Nachdem der Wiederaufbau noch nicht ganz beendet war, saßen die Festgäste zeitweise unter Ihren Regenschirmen, was durchaus zur heiteren Stimmung beitrug. Für das Interesse der damaligen Teilnehmer spricht die Tatsache, daß die Besichtigung meiner Dokumentationsstelle, die für 20 Uhr festgesetzt war, wegen Programmverspätungen erst nach Mittemacht stattfand: es waren immerhin noch mehr als 20 Personen! Schnell wurde damals erkannt, da8 eine einheitliche Ausbildung für die spezielle Tätigkeit in Dokumentation und Informatlon nötig ist. Auf der 5. Arbeitstagung der DGD in Goslar legte am 5. November 1953 Dr. Karl Fill sein Papier vor: Thesen zur Ausbildung von Dokumentalisten. [1] Es war entstanden auf Grund zahlreicher Gespräche und Debatten unter den Leitern von Dokumentationseinrichtungen und Bibliothekaren, die geeignete Mitarbeiter unter rein persönlichen Gesichtspunkten heranzogen.

Im Rahmen der DGD wurde 1954 ein Kuratorium für Nachwuchsbildung eingerichtet, das noch im selben Jahr einen ersten, kurzen Fachlehrgang durchführte. Im Winter 1957/58 startete der erste Vollehrgang, der mlt einer Prüfung abschlo8. Für diesen und alle folgenden Lehrgänge blieben Fill’s Thesen die Grundlage. Woher kamen wohl die Lehrkräfte? Ganz einfach: es waren die Leiter von Dokumentationsstellen, die sich für ihre Aufgaben das Nötige selbst erarbeitet hatten und nun versuchten, das Spezielle zum Allgemeingültigen umzuprägen und eigene Erfahrungen weiter- zugeben. Auch einige Bibliothekare gehörten zum Lehrkörper, die aus ihrem Beruf Längstgeregeltes beisteuerten. Vieles war noch und blieb auch in Bewegung, das zeigen die Programme der Lehrgänge. Die Dozenten haben ihrerseits zweifellos in den gemeinsamen Planungsdiskussionen, den Aufnahmegesprächen mit den Bewerbern und in der Prüfungskommission noch vieleriei hinzugelernt. Gleichzeitlg begann damals der Kampf um den Aufbau eines Berufsbildes, um die staatliche Anerkennung des Berufes Dokumentar und seiner Ausbildung, ebenso aber auch das Bemühen, Staat, Industrie, Hochschulen, überhaupt jedermann, vom Nutzen und der Notwendigkeit des Einsatzes der Dokumentation zu überzeugen.

1 Nachrichten für Dokumentation 5(1954), H.1, S.28-32

Aus dem Kreis der Lehrgangsteilnehmer heraus wurde im Jahre 1961 eine berufsständische Vereinigung gegründet, der Verein Deutscher Dokumentare (VDD), der sich jetzt Berufsverband Dokumentation, Information, Kommunikation nennt und der auch heute noch um die Verankerung der beruflichen Tätigkeiten in den einschlägigen Tarifverträgen, um Aus- und Weiterbildung Sorge tragen mu8. Als die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation ihr 1. Mitgliederverzeichnis mit dem Stand 1.Juli 1961 herausbrachte, waren es bereits über 200 in der Dokumentation Tätige. Ich will jetzt nicht auf alle diejenigen hinweisen, die sich in den Anfangszeiten für Dokumentation eingesetzt und für sie gekämpft haben - es sind alles gute, unvergessene Kameraden gewesen; eine große Zahl von Frauen war darunter, die meisten in leitender Position. Und nun bin ich in meinem historischen Überblick wieder im Jahre 1964 angekommen, in dem der AKI sein Gründungsjahr sieht. In Stuttgart und in etlichen Kilometern Umgebung gab es damals etwa so viele Dokumentationseinrichtungen wie Industrie- Büchereien und Spezialbibliotheken und etliche - auch ganz besonders interessante - mehr. Für welche sie auch tätig waren, alle Dokumentare hatten dieselben Sorgen:

  • nicht genügende Beachtung und deshalb zu geringe Stützung, Förderung, Dotierung, sei es durch die Geschäftsleitungen oder vorgesetzte Dienststellen
  • nicht genügend Verständnis oder auch Zutrauen derer, denen die Dokumentation bei ihren speziellen Aufgaben, Forschungen, Entwicklungen, Ermittlungen helfen wollte und sollte
  • Schwierigkeiten bei der Gewinnung und Aufbereitung des immer umfangreicheren Materials und der geeigneten Mitarbeiter
  • USW., USW., USW.

So kamen 1964 in Stuttgart einige Dokumentare zusammen, um Gedanken auszutauschen, die Meinung der Kollegen zu den eigenen Problemen zu hören, ein bißchen zu klagen und gute und üble Erfahrungen vorzustellen. Man fand Gefallen an den Zusammenkünften; es war eine bescheidene, zwanglose, stetig wachsende, heitere Runde, in der auch Querköpfe wohl gelitten waren. Man dachte zunächst nicht an eine Vereinsgründung, hatte auch keine systematischen Programme für Weiterbildung im Sinne. Es ergab sich alles von selbst. So wurde z.B. bei einem Treffen von einem Dokumentar ein Problem aus seinem Arbeitsbereich vorgestellt, erläutert und zur Diskussion gestellt, an der sich beteiligte, wer etwas beitragen konnte. Oder man besichtigte eine Dokumentationsstelle und bekam die (damals noch so dürftigenl) technischen Einrichtungen vorgeführt. Umfangreiche Schlagwortlisten, die in Mode kamen, wurden gemeinsam, aber wohlwollend, zerpflückt, und als gar Thesaurus und Computer in den Blick kamen, mangelte es nie an Stoff zum Streitgespräch. Wesentliche Anregung erwuchs au8erdem aus den Besichtigungen der gro8en Fachdokumentationsstellen und der Spezialbüchereien. Jeder Einzelne war zur geistigen Mitarbeit gefordert und zur Formulierung seiner Gedanken: es war im wahrsten Sinne Fort- und Weiterbildung. Aus der 1964 kleinen Schar wurde ein immer grö8erer Kreis, der am 15. Dezember 1986 in dem heute ofizielll bekannten Arbeitskreis für Information - AKI - aufging, einem Verein mit Vorstand, Beirat und Satzung, unter der Schirmherrschaft der Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken (ASPB) und der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD). Der Name AKI zeigt, dass sich die Information die Dokumentation untergeordnet hat - eine Entwicklung, die im Eingang dieses historischen Überblicks bereits angedeutet ist. AKI als offizielle Organisation beweist durch seine umfassenden Programme, daß er bewußt der Fort- und Weiterbildung dienen will. Dazu sei ihm Erfolg und Glück gewünscht.


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...Sie war eine Pionierin der Dokumentation. Ihr fachlicher Nachlass lagert im Bundesarchiv in Koblenz und wird hoffentlich bald erschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. -KarlDietz, einer der daran interessiert ist. noch wer?


hier ein weiterer text aus der 1. aki-festschrift in 1989

Dr. Harald Haendler

Zwischen Dilettantismus und Perfektion - Erinnerungen und Betrachtungen

1. Man nennt das jetzt Dokumentation

Wie es damals war? - lrgendwann sagte Jemand: "Man nennt das Jetzt Dokumentation". Das war 1961 - am Beginn meiner neuen Tätigkeit in Hohenheim. Das heißt, so neu war die Tätigkeit auch wieder nicht, denn mit ähnlichem hatte ich mich schon zehn Jahre vorher beschäftigt - an anderem Ort. Aber nun waren Anstellung und Auftrag neu oder doch erweitert, und eben auch die Bezeichnung für die Tätigkeit. Man nennt das jetzt Dokumentation. Aber bitte, was genau ist das? Ein Fachbuch, ein Standardwerk, ein Lehrbuch könnte Aufschluß geben. Aber, vergessen wir nicht, wlr befinden uns am Anfang der 60er Jahre. Was gab es da schon Einschlägiges? Mit viel Geduld, Zielstrebigkelt und Hilfe der Fernleihe konnte man an ein Exemptar von S.C. Bradfords "Documentation" herankommen - die U.S.-Auflage erschienen 1950 in Washington, D.C. Also, schlagen wir Bradford auf. Was erfahren wir da? Frei übersetzt aus Kapitel 1. erster Satz: "Dokumentation wird durch eine Brüderschaft enthusiastisch Ergebener in peinlich sorgfältiger und altruistischer Arbeit in bescheidener Verborgenhelt (obscurtty I) zum Wohle der menschlichen Gesellschaft ausgeführt." Sie sagen nichts! - Da haben Sie recht, da kann man nur andächtig schweigen. Mir ging es beim Lesen auch so. Und - ehrlich gesagt - für einige Zeit kam ich über diesen ersten Satz nicht hinaus. Die Sache mit der Brüderschaft, der Ergebenheit (oder sollte man besser übersetzen: Besessenheit), dem Enthushsmus, dem Altruismus usw. ging mir nicht aus dem Kopf. Gewiss, ein bißchen stark diese Aufzählung von Begriffen aus dem Ethik- und Ethologie-Vokabular. Aber die Situation - damals - ist nicht schlecht getroffen. Brüderschaft - den Feministinnen darf ich zurufen (and Bradford would agree): Die Schwestem gehören genau so dazu wie sprachlich die Brüder zu den Geschwistem - Brüderschaft also, das ist es, viel- mehr das war es: die Gemeinschaft der Elngeweihten, der Gläubigen, der... nun versteigen wir uns nicht. Viel wichtiger ist: Wie ging es zu, und wer gehörte dazu? Ich sollte Dokumentation betreiben, eine Dokumentationsstelle aufbauen, blsherlge Arbeiten reorganisieren, für neue Aufgaben geeignete Methoden finden. War ich nun Adept im hehren Orden oder war ich Außenstehender? Die höheren Weihen Jedenfalls - das wurde mir bald klar - hatte ich noch keineswegs empfangen, auch wenn ich mich schon früher auf den Pfaden eines Dewey oder Ranganathan bewegt hatte - wohl mehr Intuitiv als sicher im Glauben. lso war es notwendig, nach den Prinzipien zu suchen, nach den Zusammenhängen, nach den Gesetzmäßigkeiten, die der Informationsverarbeltung und -vermittlung zugrunde liegen. Es war erforderlich, über Maßnahmen nachzudenken, über Wege und Methoden, um den Informationsfluß optimal zu gestalten. Dabel handelte es sich schon damals um verschiedene Arten von Dokumentation: um Datendokumentation einerseits (heute spricht man meist von Fakten), um Literaturdokumentation andererseits. Es kamen dann die mannigfaltigen Probleme der internen und externen Organisation hinzu, d.h. die Probleme bezüglich der eigenen Dokumentationsstelle als auch solche der Zusammenarbeit im nationalen Verbund - später auch solche der Kooperation im internationalen System. Es zeigte sich auch bald, daß es nicht nur die Methode, nur den einen alleinseligmachenden Glauben im Orden der Eingeweihten geben konnte, sondern daß es verschiedene Wege geben musste - um so mehr, als auch die Ziele, die Aufgabenstellungen nicht immer gleicher Art waren. Im Allgemelnen läßt sich schnell eln Plan, ein Schema finden, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Beides ist notwendig: Einsicht in die Zusammenhänge (Theorie) und Kenntnisse über die an anderem Ort von anderen Personen gewonnenen Erfahrungen (Praxis). Vor allem das Letztere läßt sich schwerllch aus Büchem und Schriften entnehmen, darüber kann auch alle Liebe zur Literatur nlcht hinwegtäuschen. Wo also sind die Eingeweihten, die enthusiastischen Brüder und Schwestern des hehren Ordens? In der Verborgenheit arbeiten sie - sagt Bradford. Machen wir uns also auf dle Wanderschaft und suchen sie auf an den Stätten ihres geheimnisvollen Wirkens. - Und so geschah es.

2. Lehr- und Wanderjahre?

Um es vorweg zu sagen: Das Wandern zog slch über viele Jahre hin, natürlich nlcht permanent, sondem sporadlsch. Immer wleder machte ich mich auf den Weg - allein oder mlt Mitarbeitern aus der sich inzwischen vergrößernden Dokumentationsstelle oder mit Kollegen aus der deutschen Agrardokumentation. Und Immer wieder Heimkehr und Aufbereitung: Was war für die Entwicklung des eige- nen Systems brauchbar - was nicht. Und es wurde im eigenen Bereich geplant und organisiert und reorganisiert, wo es notwendlg war. Dabei war, nebenbei bemerkt, die Planung für die bundesdeutsche Agrardokumentation eine Entwicklung, die Bände füllt; elnige Kapitel dazu sollte ich später schreiben. Die Reisen gingen In äalle Weltä. Es ging schon bald zu den Kollgen der pharmazeutischen Dokumentation in Leverkusen und Basel. Die Pharmazie war ja schon immer vom dokumentarischen Pioniergeist erfüllt; Sie erinnern sich doch: 1830 Pharmazeutisches Zentralblatt, die Geburtsstunde der Dokumentationt in Basel sahen wlr nun die ersten Computer-Recherchen, noch mit sequentiellem Durchlauf von Magnetbändem; das war 1964. Im gleichen Jahr ging es kreuz und quer durch die USA. Bei der National Library of Medicine in Bethesda, Maryland, - bis dato Wirkungsstätte von F.Wilfred Lancaster, später weltbekannter Autor dokumentarischer Lehrbücher - war gerade MEDLARS, das medizinische Informationssystem, angelaufen. Daß es später einmal eine Art deutscher äFilialeä - DIMDI - hierzu geben würde, ahnten wir damals noch nicht. In Cleveland, Ohio, saßen wir zusammen mlt einem anderen Pionier der Dokumentation, mit Jesse Shera, damals schon fast erblindet. Ja, da waren sie, dle Brüder vom Orden der Eingeweihten; an vielen Orten zwischen California und Massachusetts fanden wir sie. Aber nicht nur dort. Es ging nach England und Schotttand zu den Kollegen der Commonwealth Agricultural Bureaux, die in späteren Jahren elne interessante, fast sprunghafte Entwlcklung durchmachen sollten. Die Reisen gingen in die Niederlande, wo man in Sachen Dokumentation ja auch zu den "Frühaufstehern" gehörte, und zu vielen anderen Orten und Ordensbrüdern. Es waren meist eindrucksvolle Begegnungen. Ich sah, wie unterschiedlich Dokumentation betrieben werden konnte. Nein, es gab nicht das Geheimrezept, es gab vlele Methoden, und es gab Erfahrungen vielerlei Art. Aber überall waren in der Tat Menschen mit großer Einsatzfreudigkeit und Begeisterung am Werk, Menschen, die slch mit den Grundlagen des Informationswesens in emsigem geistigem Bemühen auseinandersetzten, und Menschen, die aufgeschlossen waren für neue Wege und neue Techniken. Es war eine Freude, dlesen Menschen zu begegnen; und aus manchen der damaligen Bekanntschaften wurden lebenslange Freundschaften. Später kamen durch meine Tätigkeit In Internationalen Gesellschaften und Gremien viele weitere kollegiale und freundschaftliche Verbindungen hinzu.

3. Warum in die Ferne schweifen?

Sie meinen, man könne das Gute auch in der Nähe finden. Natürlich, auch. Aber ich sagte ja schon: Es gibt nlcht das dokumentarische Geheimrezept für alle und alles. Dokumentation wird auf vielerlei Weise und für viele Zwecke betrieben, und nicht zu vergessen: auch für vüelerlei Arten von Benutzern. Man kann gar nicht weit genug herumschauen, um von diesem Vielen wenigstens Einiges kennenzulernen. Es gibt viele von anderen an anderem Ort gewonnene Erfahrungen, die - neben den eigenen - zum Nutzen des eigenen Systems und dessen Benutzern verwertet werden können. Natürlich gab es auch - auch damals schon - Stätten solider dokumentarischer Erfahrungen in Stuttgart. Deutlich ist mir noch ein erster Besuch bei KClara E. Müller in der Dokumentationsstelle für Bautechnik ln der Sllberburgstra8e in Erinnerung. Und es blieb nlcht bei diesem ersten Gespräch, sondern viele mlt ihr und ihrem Team, besonders mit Carola von Dltterich, folgten. Auch hier freundschaftliche Verbindungen, dle bis heute bestehen. Auch die in dieser frühen Zeit erfolgte Begegnung mit Bernhard Klrchhof ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Und damit sind wir schon bei den Initiatoren des "Stuttgarter Kreises". Es war eine wahrhaft gute Tat, die in verschiedenen Fachbereichen, aber in geographischer Nähe wirkenden Dokumentare zusammenzuführen. Dle Brüder und Schwestem kamen nun aus ihren "Klosterzellen" heraus zum Informations- und Erfahrungsaustausch. Man traf sich regelmäßig "reihum" an den jeweiligen Wirkungsstätten, um den Kollegen Einblick in die eigene Tätigkeit und auch in die eigenen Probleme zu geben. Man holte andere Dokumentare aus anderen Bereichen herbei, um auch ihre Erfahrungen kennenzulernen. Diese Möglichkelt des Kennenlemens der Menschen und ihrer Tätigkeiten wurde gerade in den ersten Jahren gerne angenommen. Man erhielt Anregungen und lernte dazu. Und hier könnte man nun das Bradford-Wort von der Brüderschaft auf den "Stuttgarter Kreis" übertragen: ein Kreis von engagierten Dokumentationsbeflissenen (um es etwas weniger pathetisch auszudrücken), die bemüht waren, slch durch Erfahrungsaustausch für ihre Aufgaben immer qualifizierter zu machen, sich fortzubilden.

4. Geben ist seliger denn nehmen

Zwar lernt der Mensch so lange er lebt (er sollte es jedenfalls!), aber mit zunehmendem Fortschreiten seiner geistigen Entwicklung, mit steigendem Erfolg seiner Fortbildung, kommt er mehr und mehr auch in die Lage, sich selbst aktiv am Wissens- und Erfahrungsaustausch zu beteiligen. Austausch ist ja nicht Bewegung in einer Richtung, ist nicht nur Nehmen, sondern auch Geben. Und es ist gut und erfreulich, daß man mit zunehmender Reife mehr und mehr in die Lage kommt, nun auch weitergeben zu können, was man selbst einst gelernt und erfahren hat. Ja, Geben ist seliger denn Nehmen; oder, wie es in einer älteren Verslon heißt: Geben lst königlicher denn nehmen. Der Übergang vom Nehmen zum Geben vollzog sich zunächst sehr allmählich und fast unbemerkt. Anfangs bemühten wir uns innerhalb der eigenen Dokumentationsstelle in Colloquien um gegenseitige Fortbildung: Geben und Nehmen. Dann klopft jemand an die Tür, und es wird ihm geöffnet. Es wlrd gefragt, und man antwortet, man zeigt, man erklärt. Schon sind wir mittendrln: Man berichtet über eigene Erfahrungen, man informiert. Es wird öfter geklopft und gefragt, und es wird häufiger und umfassender geantwortet und erklärt. Es kommen Kollegen - aus dem Stuttgarter Raum oder von weither - und fragen, wo wie ich einst selbst an andere Türen geklopft und die eingeweihten Brüder gefragt hatte. Man kommt spontan oder nach Anmeldung. Man bleibt für kurze oder längere Zelt, für Stunden, für Tage, Wochen oder Monate - oder auch für ein oder zwei Jahre als Praktikant. Aber das ist dann nicht mehr Fortbildung, sondern Ausbildung. Doch beides ist eng miteinander verbunden: die "offizielle" Ausbildung hat (für den Auszubildenden) ein vorher festgelegtes Ende, die Fortbildung findet weiterhin statt, mu8 unbefristet stattfinden. Aber das Geben, das Weitergeben von Wissen und Erfahrungen, war nicht auf Fortbildung begrenzt. Es wurde schon bald auch "institutionalisiert" in Form von Lehraufträgen. Und In diesem Zusammenhang erinnere ich mich wieder dankbar an Aktivttäten von Bernhard Kirchhof und an unsere daraus resultierenden Lehraufträge an der Universität Stuttgart and an der Fachhochschule für Bibliotheks- wesen - später kamen andere hlnzu. Das Hineinwachsen in dlese Lehrtätigkeit war durch den Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Kollegen aus anderen dokumentarischen Bereichen gut vorbereitet. Man hatte sich eingeübt in das Abstrahieren vom eigenen Fachgebiet, man erkannte mehr und mehr die eigentlichen Prinziplen, die allgemein gültigen Gesetzmäßigkeiten - ohne durch "Betriebsblindheit" In den Anschauungen begrenzt zu sein. Es gab auch andere "offizielle" Aufträge zum Geben im Rahmen der Fortbildung von Menschen und der Entwicklung von Systemen: bei Lehrgängen, bei Kongressen und Konferenzen, bei Sitzungen verschiedener Gremien im nationalen und besonders im internationalen Bereich. So glng ich häufig wieder auf Wanderschaft, nun vorwiegend als Gebender, nach London und Paris, nach Luxemburg und Rom, nach Mexiko, Manila und Nairobi und vielen anderen Orten. Und immer wieder fand dabei Wissens- und Erfahrungsaustausch statt. Und oft traf man dort mit bereits gut bekannten Kollegen zusammen oder traf neue aufgeschlossene Dokumentationsbeflissene. Manchmal war das Geben eine Art Zurückgeben, etwa bei sehr viel späteren Besuchen in Bethesda, Maryland (nun schon als Pensionär), wo ich meine Ansichten und Erfahrungen den Kollegen für die Weiterentwicklung ihrer Systeme übermitteln durfte, an einem Ort also, an dem ich fast ein Vierteljahrhundert vorher an die Tür geklopft hatte - und das nicht vergebens.

5. Ignoranten und Scharlatane

Man sagt, es sei nicht alles Gold, was glänzt. So möchte ich denn meine Augen nicht verschlie8en vor dem falschen Glanz - oder sollte man besser sagen: vor den falschen Zungen. Wir dürfen diese negative Seite nicht übergehen. Immer wieder hört man von falschen Ärzten oder Wunderheilern, die ihr Unwesen treiben, bis man ihnen endlich auf die Schliche kommt. In der Dokumentation gibt es - leider - solche Typen auch, nur führt ihr unseliges Wirken nicht gleich zum Exitus des Patienten. Doch Schaden richten sle allemal an: unnötige Aufwendungen für Fehlentwicklungen, Entwicklungen, die in Sackgassen führen, unzureichend funktionierende Systeme und damit unzulängliche Informationsvermittlung. Und sie bringen damit letztlich den ganzen Berufsstand in Verruf. Da gibt es die "klugen Naiven". Sie leugnen einfach, daß für die Dokumentation besondere Kenntnisse und Fähigkeiten erforderilch slnd. Man sollte es nicht glauben, aber ich habe es mit eigenen Ohren gehört: "Das muss man nicht lernen, das kann man doch so". So, als würde jedem Menschen dle Gabe gratis in die Wiege gelegt. Natürlich halten diese Naiven jede Form der Aus-, Fort- und Weiterbildung auf unserem Gebiet für überflüssig. Sie wollen einfach nicht lernen. Hoffen wir, daß die Entwicklung an ihnen vorübergeht, daß sie bald aussterben - vielleicht sind sie es bereits.

Aber bestimmt noch nicht ausgestorben sind die "blinden Hühner". Sie finden zwar gelegentlich auch ein Korn, sagt man, aber das genügt eben nicht. Manche von ihnen betätigen sich seit Jahren in der Dokumentation - nicht selten an einflußreicher Stelle. Sie ignorieren wichtige Grundsätze. Ihnen fehlt das Sensorium, um rezeptieren und reflektieren zu können. Damlt fehlt ihnen auch die Voraussetzung, Situationen richtig zu beurteilen und entsprechende Maßnahmen zu treffen. Gerade sie könnten durch eine Intensive Fortbildung gefördert und Ihr Wirken für den Beruf zum Nützlichen gewendet werden. Aber, was immer man Ihnen anbietet, es wird nlcht angenommen, es fällt "unter die Dornen". Sie wissen nicht, dass sie nichts wissen, oder sie wollen es nicht wissen. Sie ignorieren, weil ihnen Lernen unbequem ist. Und sie klopfen auch an keine Tür. Schlimmer noch als die Ignoranten sind die Scharlatane. Sie wissen zwar, dass sie nichts wissen, aber sie machen glauben, dass sie alles wüssten, besser wüssten als alle anderen. Schlimm wird es, wenn man ihnen tatsächlich glaubt. Und das geschieht leider oft genug, weil der bescheidene Suchende sich leicht durch die Arroganz der Scharlatane blenden lässt. Ja, man sollte es nicht glauben, aber es gibt heute noch - nachdem wir lange schon Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge für Information und Dokumentation haben - noch viel Dilettantismus auf unserem Gebiet. Dillettantismus scheint überhaupt eine unserer verbreitesten Zeitkrankheiten zu sein; Politik und Kunst führen es uns täglich vor Augen. Aber in der Dokumentation können wir uns Dilettantismus nicht erlauben.

6. Wer immer strebend sich bemüht

Nein, mit Ignoranz und Scharlatanerie kommen wir in der Dokumentation nicht weiter. Hier sind solides Grundwissen, Fähigkeiten mancherlei Art und große Erfahrung gefordert. Dazu bedarf es einer gut fundierten Ausbildung, und eben auch lebenslanger Weiterbildung. Man muss sich immer wieder bemühen, man muss anerkennen und erfassen, kritisch verarbeiten, vergleichen und differenzieren. Der Enthusiasmus, von dem einst Bradford sprach, ist auch heute noch erforderlich, nicht nur um sorgfältige Arbeit zu leisten, sondern auch um immer wieder die geistigen und technischen Voraussetzungen für diese Arbeit zu überprüfen, zu verbessem und neueren Entwicklungen anzupassen. Es gibt nicht das perfekte System; die absolute Perfektion hat auch ihre Nachteile. Aber es ist notwendig, unter den gegebenen Möglichkeiten die besten herauszufinden. Man muss slch um eine ständige Annäherung an den Idealzustand bemühen, weg vom Dilettantismus dem perfekten System näherkommen. Dieses "Immer-strebend-Sich-Bemühen" ist nur durch engen Kontakt und ständigen Erfahrungsaustausch im Kollegenkreis zu ermöglichen. Dabei lst es notwendig, die Erfahrungen der anderen Immer wieder auf die Relevanz für den eigenen Wirkungsbereich kritisch zu überprüfen. Auch im Zeitalter der gro8en Datenbanken und der Computer-Recherche ist die Tätigkeit des menschlichen Dokumentars entscheidend für die Qualität der Informationsvermittlung - vielleicht mehr denn je. Fähige Dokumentare sind solche, die bereit sind, ein Leben lang zu lernen, sich fortzubilden, sich dem wachsenden Wissensstand anzugleichen und diesen zu nutzen. Dank verdienen alle diejenigen, die sich über Jahrzehnte bemüht haben, Fortblldung und Erfahrungsaustausch praktisch zu verwirklichen und zu fördern. Sie haben zusätzliche Anstrengungen neben ihrer tägllchen Arbeit - und oft in bescheidener Verborgenheit - auf sich genommen. Unser Dank gilt aber auch all denen, die diese Aufgaben heute fortführen und so dafür sorgen, dass der in der Dokumentation tätige Mensch auch in Zukunft seine Aufgaben qualifiziert erfüllen kann.

aus: AKI Festschrift 1989 - 25 Jahre Fort- und Weiterbildung im Stuttgarter Raum

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