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Online-Festschrift für Andreas Papendieck

Die Online-Festschrift für Andreas Papendieck == kurz: OFAP == wurde auf der AKI-Mitgliederversammlung 2000 in der FHB-villa vorgestellt.

google search link: http://www.google.de/search?q=karl+dietz+ofap


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Karl Dietz: Festrede

Lieber Andreas, liebe Frau Papendieck, liebe AKI-Mitglieder,

zum Abschluß des offiziellen Teils dieser AKI-Mitgliederversammlung möchte ich allen Anwesenden und vor allem Dir, lieber Andreas, in dieser Festrede in dieser festlichen Versammlung eine Festschrift feststellen, äh, sorry, vorstellen. Es ist keine ganz gewöhnliche Festschrift, auf Papier als Buch gedruckt, bei einem Verlag verlegt und im Buchhandel zu kaufen oder in Bibliotheken auszuleihen, sondern eine originäre Online- Festschrift auf der AKI-Homepage mit dem Namen OFAP. Ja richtig: OFAP, nicht OPAC. Ein neuer Fachterminus wurde für diese Festschrift kreativ kreiert. Mit OFAP wird ein langjähriges AKI-Vorstandsmitglied geehrt. Das Akronym OFAP heisst in seiner Langform: Online-Festschrift für Andreas Papendieck!

Es war nicht ganz einfach, dieses Projekt bis zum heutigen Tag so geheim und vertraulich zu behandeln, dass niemand in den Suchmaschinen vorher danach recherchieren kann und vor allem Du, lieber Andreas, nichts davon bemerkst; und auf der anderen Seite jedoch die Personen zu informieren, die gewillt sein könnten, einen Beitrag beizusteuern. Nicht mal das AKI-Online-Seminar "WebSearch" konnte ich für die Suche nach den besten Hyperlinks "einspannen", weil Du selbst daran teilnimmst. Nun gut, es wurde dichtgehalten und heute am Freitagabend, 3. März 2000, kann der virtuelle Schleier gelüftet werden.

Ich freue mich sehr, hier und heute die OFAP, die Online-Festschrift für Andreas Papendieck, mit folgenden Beiträgen vorstellen zu können:


Prof. Dr. Peter Vodosek Der übliche Rückstand: Öffentliche Bibliotheken im Deutschland des 19. Jahrhunderts - Der kenntnisreich dargelegte Inhalt des Artikels ist die Aussage, daß sich auf dem Weg zu einem modernen öffentlichen Bibliothekswesen in Deutschland aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen ein zeitlicher Rückstand von etwa einer Generation im Vergleich zu Großbritannien und den USA herausgebildet hat.


Edeltraud Frankenstein, Niels Hoebbel, Hans-Peter Thun Persönliche Erinnerungen in Gedichten und Bildern - Fast ein Vierteljahrhundert Engagement für die Bibliotheken in unterschiedlichen Kommissionen, Experten-, Projekt- und sonstigen Arbeitsgruppen sowie Mitautorenschaft bei einer Vielzahl von Publikationen des DBI. Erinnert sei an ihre Arbeit, lieber Prof. Papendieck, in den Kommissionen "Auskunftsdienst", "Fortbildung" und "Schulbibliotheken" sowie an Projektarbeiten. Sie sind d e r Förderer und Kenner des Schulbibliothekswesens in Deutschland und haben durch ihre Anregungen vielen Bibliothekseinrichtungen ihren Stempel aufgedrückt. Ein Dankeschön sagen Ihnen die Mitarbeiter des ehemaligen DBI, die mit ihnen gern zusammengearbeitet haben, für ihr verdienstvolles- und aufopferungsvolles Wirken.


Ingrid Strauch - Papendieckiana in der neueren bibliothekarischen Fachliteratur - Recherchiert in der Datenbank DOBI


Melanie Siemers, Thomas Numberger, Thomas Fedder, Norbert Schnitzler Realisierung, Visualisierung, Gästebuch, Recherche, Linkliste


Stufen

... Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, ...

Deine Interessen sind sehr vielfältig und können hier in dieser Rede nicht umfassend, sondern nur andeutungsweise genannt und in der Festschrift mit Hyperlinks versehen werden. Die Links können sie sich während der Rede ja in blauer Farbe vorstellen, neudeutsch: visualisieren :-)

Die Recherchen ergaben folgende stichwortartigen Ergebnisse:

Literatur, Theater, Geschichte, speziell die neuere Geschichte und die Stadtgeschichte, Garten- und Landschaftsarchitektur, insbesondere die Englische Park- und Gartenarchitektur Reisen, inbesondere in die Schweiz, aber auch die etwas weiter entfernt liegenden Länder Kanada oder Neuseeland und speziell auch die Region, die vor unserem Haustürle liegt: das Schwabenland und die Schwäbische Alb. Zu diesen Themen haben wir einige sorgfältig ausgewählte Internetadressen zusammengestellt, die in der Linkliste der OFAP "abgesurft" werden können.

Und mit wir meine ich nicht nur mich, sondern vor allem auch Melanie Siemers, deren Anteil an diesem Projekt und auch seit einem Jahr am Gesamtprojekt AKI-Stuttgart im Internet ich sehr schätze.


Länder

Mit zum besten und verlässlichsten, was es "in diesem unseren Netz" ;) gibt, gehört das Angebot der ARD, der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands. ARD-Korrespondenten aus Hörfunk und Fernsehen in aller Welt liefern Daten und Bilder für dieses informative und verlässliche Angebot, das vor vier Jahren begonnen wurde. ( und an dessen Zustandekommen ich ja nicht ganz unbeteiligt war )


Kanada und Neuseeland

In Westkanada führt der West Coast Trail 77 km durch den Regenwald an der Küste von Vancouver Island. Weitere Bilder von Kanada aufgenommen mit WebCams kannst Du Dir dann in aller Ruhe - und eventuell auch mit längeren W(elt)W(eit)W(arte)-Zeiten am Bildschirm anschauen. Auch Neuseeland ist nicht unbedingt als Ziel für die Sommerfahrten der Freunde und Förderer der HBI geeignet, aber Dich persönlich lockt nicht nur dieses Ziel. Alles über Neuseeland im Internet: hier klicken!


Die Namen Fondation Beyeler und Oskar Reinhart sind Dir wohlbekannt, denn die Schweiz mit ihren Bergen, mit ihrer Geschichte und mit ihrer Kultur, in der Menschen verschiedener Muttersprachen friedlich zusammenleben, ist bereits seit langem ein Land, in dem Du Dich wohlfühlst. Doch auch dort ruhtest du nicht ganz in Deinen Fortbildungsaktivitäten und riefst mich aus den Bergen im Wallis ab und zu in AKI-Angelegenheiten an.


Zum Schluss

Aus diesem kleinen Land kommt ein Schriftsteller, den ich besonders schätze: Max Frisch. Seine "Tagebücher" und seine Romane "Stiller" oder "Mein Name sei Gantenbein" gehören nicht nur für mich zum wichtigsten, was es zu lesen gibt. Seine Theaterstücke "Andorra" oder "Biedermann und die Brandstifter", deren zeitlose Aktualität uns allen hier bewußt ist, hast Du als Theaterliebhaber nun auch zum Lesen, denn ich möchte Dir, lieber Andreas, als Dank für Deine langjährige Beirats- und Vorstandsarbeit im Namen des gesamten AKI-Stuttgart neben der Online-Festschrift, die für die ganze Welt lesbar ist, eine siebenbändige Max-Frisch-Gesamtausgabe in zeitlicher Reihefolge überreichen. Die Bücher sind nur für Dich.

Und nun sind Sie alle ganz herzlich zum geselligen Teil dieser Versammlung eingeladen.


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Peter Vodosek: The Usual Delay

in engl. Vodosek, Peter. "The Usual Delay: Public Libraries in Nineteenth Century Germany" Library History 17 (November 2001): 197-202


in dt. Vodosek, Peter. Der übliche Rückstand: Öffentliche Bibliotheken im Deutschland des 19. Jahrhunderts


Meine Formulierung - The Usual Delay - muß interpretiert werden: Sie besagt, daß sich auf dem Weg zu einem modernen öffentlichen Bibliothekswesen in Deutschland aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen ein zeitlicher Rückstand von etwa einer Generation im Vergleich zu Großbritannien und den USA herausgebildet hat.

Public Libraries bzw. ihre Vorläufer sind in Deutschland ein Produkt der Volksaufklärung. Diese Spätphase der Aufklärung, die in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hineinreicht, war gerade in Deutschland besonders stark pädagogisch ausgerichtet. Die ersten praktischen Versuche finden sich auf dem Lande: Dorf-, Gemeinde-, Bauern- und Schulbibliotheken. Sie werden von aufgeklärten Geistlichen, Lehrern und Gutsbesitzern initiiert. In den Städten gibt es andere Möglichkeiten, das Lektürebedürfnis zu befriedigen: Lesegesellschaften, gewerbliche Leihbibliotheken, in Residenzstädten Hofbibliotheken und in den Reichsstädten Stadtbibliotheken.

1788 veröffentlichte der Pädagoge Rudolph Zacharias Becker (1752-1822) das bekannteste Volksbuch, das "Noth- und Hülfsbuchlein".(1) Im zweiten Teil dieses Buches, der 1798 veröffentlicht wurde, beschreibt er die Schul- und Gemeinde- Bibliothek in dem fiktionalen Dorf Mildheim und fügt ein "Verzeichniß der in der Mildheimischen Schul- und Gemeinde- Bibliothek befindlichen Bücher" mit etwa 100 Titel an, eingeteilt in:


  • I. Bücher für Schulkinder,
  • II. Bücher für Schullehrer,
  • III. Bücher zum Verleihen an die Gemeinde-Glieder.(2)


Ein Jahr zuvor 1797 erschien der zwar nicht erste, aber wohl wichtigste Versuch einer theoretischen Grundlegung der Öffentlichen Bibliothek, der "Grundriß der Staatserziehungswissenschaft" von Heinrich Stephani (1761-1850), einem Pädagogen und Theologen aus Franken, 1805 in einer verbesserten zweiten Auflage mit dem Titel "System der öffentlichen Erziehung". Der Autor schlägt in seinem Buch ein dreistufiges System vor:

  • "Staatsbeamtliche Bibliotheken" in jeder Provinzialhauptstadt zur Fortbildung der Staatsbeamten (Verwaltungsbeamte, Lehrer, Geistliche) und der Gewerbetreibenden,
  • Stadtbibliotheken in jeder Povinzialhauptstadt. Da sie "nützliche Geistesnahrung für die ganze Nation" enthalten sollen, nennt Stephani sie auch Nationalbibliotheken,
  • Dorfsbibliotheken für die "allgemeine menschliche und bürgerliche Bildung der Landbewohner und für deren Stand geeignete Kenntnisse". Sie bilden das Fundament, da die "Grundmasse jeder Nation auf dem Lande umher zerstreut" lebt. Sie sollen "Filialen der Nationalbibliotheken" sein, in dem Sinne, daß sie von dort "stets Zufluß erhalten können". Hier taucht zum ersten Mal der Gedanke eines regionalen Verbundes auf.


Die politische Situation, die Kriege gegen Napoleon, die Zeit der Restauration und Demagogenverfolgungen verhindern nach 1800, daß diese Ideen realisiert wurden. Es tritt eine Phase der Stagnation ein.

Neue Impulse sind erst ab den 30er Jahren zu beobachten. Um 1820 setzt in Deutschland sehr allmählich in größerem Umfang die Industrialisierung ein.(3) Der Staat ist nun stärker für Fragen der Volksbildung sensibilisiert, somit auch für Volksbibliotheken:


  • Bibliotheken sind Anstalten gegen die sittliche Verwahrlosung (die soziale Krise wird als moralische Krise interpretiert)
  • Bibliotheken tragen zur Fortbildung des bedrohten Handwerkerstandes bei
  • Bibliotheken sind ein Gegengewicht gegen die verderbliche Wirkung der gewerblichen Leihbibliotheken


Das Königreich Sachsen gehört zu den ersten deutschen Territorien, in denen sich die Industrialisierung stärker bemerkbar macht. Es ist daher nicht verwunderlich, daß hier eine neue Bibliotheksbewegung entsteht. Zentrale Figur ist Karl Benjamin Preusker (1786-1871), der mit einigem Recht als der bedeutendste Pionier auf dem Gebiet der öffentlichen Bibliotheken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden kann. Er veröffentlichte nicht nur zahlreiche theoretische Schriften über Bibliotheken, sondern versuchte auch seine Ideen in die Praxis umzusetzen. Zunächst ist sein Hauptanliegen die Verbesserung der Gewerbebildung: In der kleinen sächsischen Stadt Großenhain gründete er 1829 zusammen mit Gleichgesinnten zunächst eine Polytechnische Sonntagsschule mit einer Schulbibliothek. Diese Schulbibliothek erhält 1833 die Funktion einer Stadtbibliothek. Preusker beruft sich dabei auf Ideen von Benjamin Franklin und Peter Brougham sowie auf das Vorbild der ersten Mechanics' Institutes.(4) Ab 1840 erweiterte er sein Konzept unter dem Einfluß humanistischer Gedanken dahingehend, daß der Mensch in allen seinen Anlagen, sowohl in den intellektuellen wie den emotionalen, gebildet werden müsse.


Preusker betreibt eine intensive Bibliothekspropaganda und wurde allgemein als der Experte in Deutschland anerkannt. Über 10 Bibliotheken in Deutschland und in der Schweiz führen ihre Gründung auf seine Anregungen zurück. Krönung seiner Ideen ist das Konzept eines gestuften Bibliothekswesens, beginnend bei Dorfbibliotheken und gipfelnd in einer Nationalbibliothek. Er schlägt ferner verschiedene Typen von Spezialbibliotheken vor und denkt auch bereits an eine Art von Dokumentationseinrichtung.


Wirkten die Aktivitäten Preuskers sehr stark in die Breite, hat die Gründung der Berliner Volksbibliotheken eher programmatische Bedeutung. Der seinerzeit berühmte preußische Historiker Friedrich von Raumer (1781-1873) reiste 1835 und 1841 nach Großbritannien und 1845 in die USA. Er wurde sowohl auf Bemühungen für eine Verbesserung der Volksbildung als auch auf die Bedeutung der frühen Public Libraries aufmerksam. In einem Brief nach Deutschland schrieb er, was er erlebt hatte: "Amerikanische Bürger (das heißt nach europäischem Maßstabe ganz gemeine Landleute und Handwerker) sprachen mit mir auf dem Dampfboote des Mississippi von Demetrius Poliorketes und Philopömen mit genauester Kenntnis, die sie sich durch jene angezweifelten Volksbibliotheken gewonnen hatten".(5) In einer Denkschrift von 1846 bot er dem Magistrat von Berlin eine Stiftung von 4.000 Talern zur Errichtung von vier Volksbibliotheken an. Diese Bibliotheken wurden 1850 eröffnet. Diese Gründung gilt insofern als ein Meilenstein in der Geschichte der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland, als zum ersten Mal eine Kommune die Trägerschaft übernahm. Konzeptionell allerdings setzten sich die Vorstellungen des Liberalen von Raumer nicht durch: Diese Bibliotheken sollten nach ihrer Genehmigung durch den König nicht, wie ihr Stifter beabsichtigt hatte, zur Demokratisierung beitragen, sondern die Untertanentreue befestigen.


Diese Bestimmung weist darauf hin, daß inzwischen Ereignisse eingetreten waren, die eine fortschrittliche Entwicklung abbremsten: die Revolution der Jahre 1848 und 1849. Während ab 1848 in den USA Staaten wie Massachusetts, New Hampshire und Maine die ersten Bibliotheksgesetze verabschiedeten, in England die Public Library Act vom 30. Juni 1850 das Parlament passierte und in den USA die Boston Public Library ihre Pforten öffnete, die weithin als der Beginn der Public Library-Bewegung in den USA betrachtet wird, blieb es in Deutschland 1848 bei der bloßen Forderung nach unentgeltlichen Volksbibliotheken: durch das "Centralkomite für Arbeiter" in Berlin, den "Sächsischen Arbeiterkongreß" in Leipzig und den "Bayerischen Arbeiterkongreß" in Nürnberg.(6) Es ist daher umso bemerkenswerter, daß in einem einzigen deutschen Parlament, nämlich im Landtag des Herzogtums Sachsen-Gotha 1848/49 darüber diskutiert wurde, ob und in welcher Form der Staat Verantwortung für Volksbibliotheken übernehmen müsse und könne. Immerhin wurde 1851 beschlossen, Bibliotheken mit einem freilich bescheidenen staatlichen Zuschuß zu unterstützen.(7) Es waren im wesentlichen die deutschen Kleinstaaten, in denen ein relativ offenes geistiges Klima herrschte, die sich auf dem Gebiet der Volksbildung stärker engagierten.


Die Zeit der Reaktion war kein günstiger Boden für die weitere Entfaltung. Allerdings mußten auch die konservativen Kräfte erkennen, daß die Fortschritte in Technik und Wirtschaft sowie die nun voll einsetzende industrielle Revolution weitere Verbesserungen der Volksbildung notwendig machten. So erfolgte eine vorsichtige Liberalisierung zunächst mit Blick auf eine bessere Berufsbildung. Als Beispiel soll das Königreich Württemberg genannt werden. Hungersnot und Wirtschaftskrise in den Jahren 1816/17 führten unter der aktiven Beteiligung der König Katharina zur Gründung von Zentralstellen für Wohltätigkeit (1816), für Landwirtschaft (1817) sowie für Gewerbe und Handel (1818). Alle drei Zentralstellen wurden nach 1850 die wichtigsten Triebkräfte beim Aufbau des außerschulischen Volksbildungs- und Volksbibliothekswesens. Sie produzierten und verteilten "nützliche Schriften", erarbeiteten Empfehlungslisten und Musterkataloge und regten den Aufbau von Bibliotheken im ganzen Königreich an.(8) So verdienstvoll diese Aktionen im einzelnen auch waren, so kann keine Rede davon sein, daß sie gleichmäßig ganz Deutschland erfaßten. Ein solches staatliches Engagement blieb die Ausnahme. Es herrschte vielmehr eine große Zersplitterung. Es würde zu weit führen, hier auf die Bemühungen der Arbeiterbewegung, der katholischen Kirche mit dem 1844 gegründeten Verein vom Heiligen Borromäus und der evangelischen Kirche mit der Inneren Mission ab 1849 einzugehen.


Erst die Reichsgründung 1871 führte insbesondere im liberalen Lager zu der Erkenntnis, daß die nunmehr gewonne politische Einheit durch eine verbesserte Bildung der breiten Massen gesichert, ja im geistigen Sinn überhaupt erst herbeigeführt werden müsse. Insbesondere die im Juni 1871 gegründete, reichsweit agierende "Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" legte einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Gründung von Volksbibliotheken.(9) Ihr ist später von ihren Kritikern vorgeworfen worden, daß die von ihr geschaffenen Bibliotheken zu klein seien, und daß sie einen Kult der großen Ausleihzahlen betrieben hätte, ohne sich über die Wirkung ihrer Arbeit Gedanken zu machen. Immerhin kam ihr das Verdienst zu, den Boden für spätere Entwicklungen vorbereitet zu haben. So erreichte sie zum Beispiel, daß der Landtag des Königsreiches Sachsen beschloß, ab 1876 die Volksbibliotheken jährlich mit 15.000 Mark zu fördern.(10)


In den 90er Jahren endlich schien der große Durchbruch zu gelingen. Im Jahre 1893 reiste als einziger deutscher Bibliothekar Constantin Nörrenberg (1862-1937) zur Weltausstellung von 1893 nach Chicago und nahm dort am World's Congress of Librarians und an der sich anschließenden 16th Annual Conference der American Library Assocation (ALA) teil. Erfüllt von amerikanischen Bibliotheksideen kehrte er nach Deutschland zurück und löste, gemeinsam mit anderen, die sogenannte Bücherhallenbewegung aus. Sie führte zur Gründung zahlreicher, am Modell der Public Library orientierten Bibliotheken wie z. B. in Charlottenburg, in Elberfeld, Jena, Hamburg, Bremen oder Essen, um nur einige zu nennen. Es war ohne Zweifel mit ein Verdienst der Bücherhallenbewegung, daß nun mehr auch der größte deutsche Staat, Preußen, seine Zurückhaltung aufgab. In einem Erlaß des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, Robert Bosse (Minister 1892-1899) wurde die jüngste positive Entwicklung der Volksbibliotheken gewürdigt und zugleich angekündigt, der Staat wolle künftig jährlich 50.000,- DM für ihre Förderung bereitstellen.(11)Dieser Betrag wurde ab 1911 auf 100.000,- DM erhöht. Im selben Jahr wurde von bibliothekarischer Seite lobend hervorgehoben, daß "der Fortschritt auf diesem Gebiet ein ganz außerordentlicher gewesen" sei.


Somit war Deutschland auf dem besten Wege, den Vorsprung der amerikanischen und englischen Public Libraries aufzuholen. Bedauerlicherweise war aber der mit so viel Schwung gestarteten Bücherhallenbewegung der endgültige Erfolg versagt. Die Gründe dafür, z. B. der 1. Weltkrieg, sind leicht zu erkennen. Sich eingehender damit zu befassen, ist aber bereits ein neues Thema und gehört der Bibliotheksgeschichte des 20. Jahrhunderts an.


Anmerkungen


1. Becker, Rudolf Zacharias: Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute oder lehrreiche Freuden- und Trauer-Geschichte der Einwohner zu Mildheim. Anderer Theil. Gotha: Becker, 1798. p. 188-189: Errichtung einer Schul- und Gemeinde-Bibliothek in Mildheim; p. 366-368: Verzeichniss der in der Mildheimischen Schul- und Gemeinde-Bibliothek befindlichen Bücher

2. Siegert, Reinhart: Libraries in the Literature of the Popular Enlightenment. In: Bibliotheken in der literarischen Darstellung = Libraries in Literature/ hrsg. von Peter Vodosek u. Graham Jefcoate. - Wiesbaden: Harrassowitz, 1999 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd 33), p. 127-150; p. 145

3. Noch 1852 betrug der Anteil der Industriearbeiterschaft in Preussen erst 8,2%!

4. Preusker, Karl-Benjamin: Gutenberg und Franklin, Leipzig 1849. Preusker zitiert wiederholt aus Henry Peter Broughams Schrift "Praktische Bemerkungen über die Ausbildung der gewerbtreibenden Classen; an die Handwerker und Fabrikanten gerichtet, von Henry Peter Brougham und nach der 20. Auflage übersetzt. Mit einer Vorrede und Anmerkungen von K. F. Kloeden. Berlin: Dunker & Humblot, 1827. - Die englische Erstausgabe dieses einflussreichen Buches erschien 1825. - Preusker teilte mit Brougham die Verehrung für Benjamin Franklin.

5. Brief vom 7. Januar 1849, abgedruckt in: Arend Buchholtz: Die Volksbibliotheken und Lesehallen der Stadt Berlin 1850-1900. Berlin 1900, p. 19

6. Auf dem Weg zur öffentlichen Literaturversorgung: Quellen u. Texte zur Geschichte d. Volksbibliotheken in d. 2. Hälfte d. 19. Jh./hrsg. u. kommentiert von Peter Vodosek. - Wiesbaden: Harrassowitz, 1985 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München; Bd. 14) p. 203, Anmerkung 56

7. Auf dem Weg zur öffentlichen Literaturversorgung, p. 163-167

8. Hohoff, Ulrich: Quellen zur Geschichte der Volksbibliotheken in Württemberg und Hohenzollern 1806-1918; ein sachthematisches Inventar/bearb. von Ulrich Hohoff. Mit e. Beitr. von Peter Vodosek. Stuttgart: Kohlhammer, 1990 (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg; Bd. 40), p. 96, 98,136

9. Auf dem Weg zur öffentlichen Literaturversorgung, p. 108

10. Peter Vodosek: Beispiele staatlicher Förderung von Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. In: Staatliche Initiative und Bibliotheks- entwicklung seit d. Aufklärung/hrsg. von Paul Kaegbein u. Peter Vodosek. - Wiesbaden: Harrassowitz, 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 12), p.29-32

11. Peter Vodosek: Beispiele staatlicher Förderung, p.32-36

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