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+ | ==Die Idee der Zeitung und ihre Zukunft== | ||
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+ | Gespräch mit Lothar Müller, Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. | ||
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+ | Wie könnte man die aktuelle Zeitungskrise in einer historischen Perspektive beschreiben? | ||
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+ | Die Zeitung ist im frühen 17. Jahrhundert entstanden aus der Umformatierung einer handschriftlich eingetroffenen Nachricht in ein Print-Produkt. Die einkommenden Berichte mussten in einer sehr kurzen Zeitspanne umgewandelt und versendet werden. Die Zeitung ist aus der Kombination von Druckerpresse und Postwesen hervorgegangen. Jetzt ist die Zeitung nicht in die Krise gekommen durch irgendwelche Entwicklungen in der Druckindustrie oder weil das Papier knapp geworden wäre, sondern ausschließlich durch Newcomer auf dem Feld der Raum-/Zeitbewirtschaftung, der Erben der alten Post. | ||
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+ | Lothar Müller auf der re:publica 2013. Wikipedia CC BY-SA 2.0 | ||
+ | Bevor wir näher auf diesen Aspekt eingehen, würde mich interessieren, welches der thematische Fokus von Zeitungen damals war und heute ist. Haben Zeitungen immer schon Nachrichten aus der ganzen Welt verbreitet? | ||
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+ | In der englischen Presse gab es z.B. immer die Nachrichten über die Kriege auf dem Kontinent ebenso wie die über den Dauerkonflikt zwischen Parlament und König in London. Im Prinzip kam alles in der Zeitung vor, und zwar nebeneinander oder hintereinander am gleichen Tag: „All the News That’s Fit to Print“. Ich glaube, dass die Globalisierung, die schon in der Frühen Neuzeit begonnen hat, immer einen Doppelcharakter hatte: auf der einen Seite der Fokus auf die Interessen der weltumspannenden Handelsgesellschaften, auf der anderen Seite als Kontrastwelt dazu der Nahbereich. Universalität war Prinzip von Anfang an. | ||
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+ | Was bewirkt Zeitungslektüre bei den Lesern? | ||
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+ | Die Zeitung beschwört eigentlich immer auch den Fortgang der Welt. Sie hat ein beruhigendes, integrierendes Moment. Deshalb konnte Hegel das Zeitungslesen „eine Art von realistischem Morgensegen“ nennen. „Wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“ (Goethe, Faust I), kann der Leser die Meldung trotzdem in seinen Alltag einfügen. Die Zeitung ist auch ein großartiges Integrationsmedium. Das Prinzip der Periodizität bedeutet, dass man nicht nur heute eine neue Nachricht geliefert bekommt, sondern auch die Erwartung ausbildet, nächste Woche, verlässlich wiederkehrend, immer wieder neue Nachrichten zu bekommen. Dadurch erscheint die Welt als etwas im Prinzip Wandelbares. Zeitungen untergraben unsere Stabilitätsvermutungen. | ||
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+ | Zurück zur Frage nach der aktuellen Krise der Zeitungen. | ||
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+ | Die älteren Zeitungswissenschaftler haben ausgeblendet, dass das Trägermedium der Zeitung das Papier war. Das war ihnen so selbstverständlich, dass es ihnen keiner Erwähnung wert war. Im Rückblick sieht man aber, dass das Trägermedium sehr viel mit der Entwicklungsgeschichte der Zeitung zu tun hat. Das Papier hat die Begrenzung und die Formate geliefert. Jetzt sind Zeitungen dabei, sich von dem alten Trägermedium abzulösen. Aber die Idee der Zeitung kann auch im digitalen Format überleben. Man muss es allerdings wollen. | ||
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+ | Inwiefern „wollen“? | ||
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+ | Das neue „Trägermedium“ ist extrem elastisch und macht im Prinzip alles möglich. Dagegen führt die klassische Zeitungsseite ein restringierendes Prinzip mit sich, weil sie ein begrenzter Raum ist. Innerhalb dieses Raums, der stabil umrissen ist, will die Seite gemäß einer Binnenstruktur bewirtschaftet werden. Man füllt sie mit Bildern und Schrift, aber z.B. keinen Podcast. Was früher durch die Zeitungsseite erzwungen war, nämlich die Endlichkeit, muss im digitalen Format künstlich hergestellt werden. Die Logik des alten Mediums war Verknappung, die Logik des neuen Mediums ist Abundanz: Man kann fast alles bringen. Kann in einer Übergangszeit das alte Prinzip regulativ noch gelten, indem man digitale Derivate der klassischen Zeitungsseite produziert, vielleicht ein bisschen umformatiert mit anderen Überschriften, Bildern? Heute lautet die Devise der Zeitungsmacher: Wir müssen die eine Story auf verschiedenen Kanälen ausspielen. Ich glaube, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird. | ||
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+ | Gibt es schon ein überzeugendes Beispiel für das Äquivalent einer gedruckten Zeitungsseite im digitalen Format? | ||
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+ | Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Bei den elektronischen Zeitungen gerät man dauernd in den Konflikt zwischen dem Prinzip Kodex oder Schriftrolle. Man blättert ja nicht mehr wirklich, obwohl diese Anmutung noch erzeugt wird, sondern scrollt die meiste Zeit. Je kleiner die Lesegeräte sind, umso weniger gelingt der Überblick – allerdings mit dem Vorteil, dass man Sachverhalte viel exakter ansteuern kann. Es fragt sich, wie weit man mit der Aktualität im digitalen Format gehen will. Im Extremfall wird aus der Zeitung eine Website, die ständig anwählbar und nicht mehr an einen Erscheinungsrhythmus gebunden ist. Das ist etwas anderes, als wenn man morgens auf die gedruckte Zeitung wartet, weil sie zum Frühstücksritual gehört. | ||
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+ | Welche Zeitung hat den Umbruch bisher am besten gemeistert? | ||
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+ | Wahrscheinlich die New York Times. Zwar spielt die strikte Opposition zu Trump auch eine Rolle dabei, dass die Zeitung profitabel arbeitet. Aber technologisch ist es ihr gelungen, die klassischen Zeitungsmodelle auch im Online-Auftritt zu bewirtschaften und sich im Raum extrem weit streuen, begünstigt durch die englische Sprache. So können auch in Deutschland preiswerte Mini-Abos verkauft werden. Die Aktivitäten der New York Times dienen der Stabilisierung des Verbundsystems: Es gibt lange Reportagen in audiovisueller Form, Podcasts, Elemente von klassischer Zeitung. Ob sich daraus ein stabiles Modell entwickelt, kann ich auch nicht vorhersagen. | ||
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+ | Allgemeine Zeitung (Augsburg: Cotta). Jg. 1814 | ||
+ | Wir führen unser Gespräch in einem Haus, das Goethe kurz nach Ankunft in Weimar 1776 für einige Zeit bewohnt hat. Goethe hatte ein ambivalentes Verhältnis zu Zeitungen. | ||
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+ | Goethe hat Zeitungslektüre abgekoppelt vom Newsfaktor betrieben. Er hat sich eher die Allgemeine Zeitung in Jahrgänge binden lassen und dann zurückgeblättert. Ihn hat die ständige Frage: Was gibt es Neues? nicht interessiert. Er war Aktualitätsverweigerer und dem Medium gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt. Er hat immer gefürchtet, dass Zeitungen Lunte an gesellschaftliche Konflikte legen, die dann möglicherweise Revolutionen entzündet. | ||
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+ | Michael Knoche: Die Idee der Zeitung und ihre Zukunft, | ||
+ | in: Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn, 9. März 2020, URL:https://biblio.hypotheses.org/1652. Aufgerufen 9. März 2020 | ||
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Aktuelle Version vom 9. März 2020, 17:16 Uhr
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526 23.11.1995 WWW-Hypermedien erstellen Heiko Heger, EVS Jürgen Unfried, EVS Energie-Versorgung Schwaben Stuttgart
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s.a. Virtuelle Welt
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Die Idee der Zeitung und ihre Zukunft
Gespräch mit Lothar Müller, Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin.
Wie könnte man die aktuelle Zeitungskrise in einer historischen Perspektive beschreiben?
Die Zeitung ist im frühen 17. Jahrhundert entstanden aus der Umformatierung einer handschriftlich eingetroffenen Nachricht in ein Print-Produkt. Die einkommenden Berichte mussten in einer sehr kurzen Zeitspanne umgewandelt und versendet werden. Die Zeitung ist aus der Kombination von Druckerpresse und Postwesen hervorgegangen. Jetzt ist die Zeitung nicht in die Krise gekommen durch irgendwelche Entwicklungen in der Druckindustrie oder weil das Papier knapp geworden wäre, sondern ausschließlich durch Newcomer auf dem Feld der Raum-/Zeitbewirtschaftung, der Erben der alten Post.
Lothar Müller auf der re:publica 2013. Wikipedia CC BY-SA 2.0
Bevor wir näher auf diesen Aspekt eingehen, würde mich interessieren, welches der thematische Fokus von Zeitungen damals war und heute ist. Haben Zeitungen immer schon Nachrichten aus der ganzen Welt verbreitet?
In der englischen Presse gab es z.B. immer die Nachrichten über die Kriege auf dem Kontinent ebenso wie die über den Dauerkonflikt zwischen Parlament und König in London. Im Prinzip kam alles in der Zeitung vor, und zwar nebeneinander oder hintereinander am gleichen Tag: „All the News That’s Fit to Print“. Ich glaube, dass die Globalisierung, die schon in der Frühen Neuzeit begonnen hat, immer einen Doppelcharakter hatte: auf der einen Seite der Fokus auf die Interessen der weltumspannenden Handelsgesellschaften, auf der anderen Seite als Kontrastwelt dazu der Nahbereich. Universalität war Prinzip von Anfang an.
Was bewirkt Zeitungslektüre bei den Lesern?
Die Zeitung beschwört eigentlich immer auch den Fortgang der Welt. Sie hat ein beruhigendes, integrierendes Moment. Deshalb konnte Hegel das Zeitungslesen „eine Art von realistischem Morgensegen“ nennen. „Wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen“ (Goethe, Faust I), kann der Leser die Meldung trotzdem in seinen Alltag einfügen. Die Zeitung ist auch ein großartiges Integrationsmedium. Das Prinzip der Periodizität bedeutet, dass man nicht nur heute eine neue Nachricht geliefert bekommt, sondern auch die Erwartung ausbildet, nächste Woche, verlässlich wiederkehrend, immer wieder neue Nachrichten zu bekommen. Dadurch erscheint die Welt als etwas im Prinzip Wandelbares. Zeitungen untergraben unsere Stabilitätsvermutungen.
Zurück zur Frage nach der aktuellen Krise der Zeitungen.
Die älteren Zeitungswissenschaftler haben ausgeblendet, dass das Trägermedium der Zeitung das Papier war. Das war ihnen so selbstverständlich, dass es ihnen keiner Erwähnung wert war. Im Rückblick sieht man aber, dass das Trägermedium sehr viel mit der Entwicklungsgeschichte der Zeitung zu tun hat. Das Papier hat die Begrenzung und die Formate geliefert. Jetzt sind Zeitungen dabei, sich von dem alten Trägermedium abzulösen. Aber die Idee der Zeitung kann auch im digitalen Format überleben. Man muss es allerdings wollen.
Inwiefern „wollen“?
Das neue „Trägermedium“ ist extrem elastisch und macht im Prinzip alles möglich. Dagegen führt die klassische Zeitungsseite ein restringierendes Prinzip mit sich, weil sie ein begrenzter Raum ist. Innerhalb dieses Raums, der stabil umrissen ist, will die Seite gemäß einer Binnenstruktur bewirtschaftet werden. Man füllt sie mit Bildern und Schrift, aber z.B. keinen Podcast. Was früher durch die Zeitungsseite erzwungen war, nämlich die Endlichkeit, muss im digitalen Format künstlich hergestellt werden. Die Logik des alten Mediums war Verknappung, die Logik des neuen Mediums ist Abundanz: Man kann fast alles bringen. Kann in einer Übergangszeit das alte Prinzip regulativ noch gelten, indem man digitale Derivate der klassischen Zeitungsseite produziert, vielleicht ein bisschen umformatiert mit anderen Überschriften, Bildern? Heute lautet die Devise der Zeitungsmacher: Wir müssen die eine Story auf verschiedenen Kanälen ausspielen. Ich glaube, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird.
Gibt es schon ein überzeugendes Beispiel für das Äquivalent einer gedruckten Zeitungsseite im digitalen Format?
Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Bei den elektronischen Zeitungen gerät man dauernd in den Konflikt zwischen dem Prinzip Kodex oder Schriftrolle. Man blättert ja nicht mehr wirklich, obwohl diese Anmutung noch erzeugt wird, sondern scrollt die meiste Zeit. Je kleiner die Lesegeräte sind, umso weniger gelingt der Überblick – allerdings mit dem Vorteil, dass man Sachverhalte viel exakter ansteuern kann. Es fragt sich, wie weit man mit der Aktualität im digitalen Format gehen will. Im Extremfall wird aus der Zeitung eine Website, die ständig anwählbar und nicht mehr an einen Erscheinungsrhythmus gebunden ist. Das ist etwas anderes, als wenn man morgens auf die gedruckte Zeitung wartet, weil sie zum Frühstücksritual gehört.
Welche Zeitung hat den Umbruch bisher am besten gemeistert?
Wahrscheinlich die New York Times. Zwar spielt die strikte Opposition zu Trump auch eine Rolle dabei, dass die Zeitung profitabel arbeitet. Aber technologisch ist es ihr gelungen, die klassischen Zeitungsmodelle auch im Online-Auftritt zu bewirtschaften und sich im Raum extrem weit streuen, begünstigt durch die englische Sprache. So können auch in Deutschland preiswerte Mini-Abos verkauft werden. Die Aktivitäten der New York Times dienen der Stabilisierung des Verbundsystems: Es gibt lange Reportagen in audiovisueller Form, Podcasts, Elemente von klassischer Zeitung. Ob sich daraus ein stabiles Modell entwickelt, kann ich auch nicht vorhersagen.
Allgemeine Zeitung (Augsburg: Cotta). Jg. 1814
Wir führen unser Gespräch in einem Haus, das Goethe kurz nach Ankunft in Weimar 1776 für einige Zeit bewohnt hat. Goethe hatte ein ambivalentes Verhältnis zu Zeitungen.
Goethe hat Zeitungslektüre abgekoppelt vom Newsfaktor betrieben. Er hat sich eher die Allgemeine Zeitung in Jahrgänge binden lassen und dann zurückgeblättert. Ihn hat die ständige Frage: Was gibt es Neues? nicht interessiert. Er war Aktualitätsverweigerer und dem Medium gegenüber grundsätzlich kritisch eingestellt. Er hat immer gefürchtet, dass Zeitungen Lunte an gesellschaftliche Konflikte legen, die dann möglicherweise Revolutionen entzündet.
Michael Knoche: Die Idee der Zeitung und ihre Zukunft,
in: Aus der Forschungsbibliothek Krekelborn, 9. März 2020, URL:https://biblio.hypotheses.org/1652. Aufgerufen 9. März 2020
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