Oskar Maria Graf

Aus AkiWiki

(Unterschied zwischen Versionen)
Wechseln zu: Navigation, Suche
(#bornonthisday in 1894)
(An die Nachgeborenen)
Zeile 1: Zeile 1:
==Wollt Ihr nun wissen, ==
==Wollt Ihr nun wissen, ==
-
was und wer ich bin, so sage ich: Mir ist als Bub von zehn bis zwölf Jahren so gründlich wie vielleicht keinem der Glaube an das Menschliche im Menschen herausgeprügelt worden, daß es viele Jahrzehnte, fast bis an die Grenze meines Greisenalters, gebraucht hat, bis ich wenigstens einiges von diesem Glauben wieder zurückgewinnen konnte. Und ohne diesen Glauben kann kein Mensch existieren. Meine einzige Rettung war, daß ich - um nicht einfach eines Tages meinem Leben den Garaus zu machen - mit einer bohrenden Verbissenheit ohnegleichen stets vor mir selber und der Öffentlichkeit Beichte ablegte, mich derart entlarvte und bloßstellte, bis es mir vor mir selber unsagbar graute. Und da es in der Natur jedes Menschen liegt, stets von sich auf andere zu schließen, so kann man sich denken, welche Erschütterungen dieses sich immer wiederholende Grauen in mir hervorgerufen hat. Es steigerte sich schließlich zum ohnmächtigen Eingeständnis, daß der Mensch eine unergründliche Fehlleistung der Schöpfung ist, wie ein Blatt im Wind hilflos ausgeliefert den Mächten seiner Herkunft, seines mühseligen Werdens und den dunklen, fast unbezwingbaren Trieben. Das trieb mich zum Schreiben, und das, daß auch der Mitmensch dadurch ermutigt wird, so in sich zu schauen und dadurch zu einer Verträglichkeit mit seiner Umwelt zu kommen, war einzig und allein der Sinn meines ganzen Schaffens und Wirkens. #OskarMariaGraf (Beschreibung eines Volksschriftstellers)
+
was und wer ich bin, so sage ich: Mir ist als Bub von zehn bis zwölf Jahren so gründlich wie vielleicht keinem der Glaube an das Menschliche im Menschen herausgeprügelt worden, daß es viele Jahrzehnte, fast bis an die Grenze meines Greisenalters, gebraucht hat, bis ich wenigstens einiges von diesem Glauben wieder zurückgewinnen konnte.  
 +
 
 +
Und ohne diesen Glauben kann kein Mensch existieren. Meine einzige Rettung war, daß ich - um nicht einfach eines Tages meinem Leben den Garaus zu machen - mit einer bohrenden Verbissenheit ohnegleichen stets vor mir selber und der Öffentlichkeit Beichte ablegte, mich derart entlarvte und bloßstellte, bis es mir vor mir selber unsagbar graute. Und da es in der Natur jedes Menschen liegt, stets von sich auf andere zu schließen, so kann man sich denken, welche Erschütterungen dieses sich immer wiederholende Grauen in mir hervorgerufen hat. Es steigerte sich schließlich zum ohnmächtigen Eingeständnis, daß der Mensch eine unergründliche Fehlleistung der Schöpfung ist, wie ein Blatt im Wind hilflos ausgeliefert den Mächten seiner Herkunft, seines mühseligen Werdens und den dunklen, fast unbezwingbaren Trieben.  
 +
 
 +
Das trieb mich zum Schreiben, und das, daß auch der Mitmensch dadurch ermutigt wird, so in sich zu schauen und dadurch zu einer Verträglichkeit mit seiner Umwelt zu kommen, war einzig und allein der Sinn meines ganzen Schaffens und Wirkens.  
 +
 
 +
OskarMariaGraf (Beschreibung eines Volksschriftstellers)
Zeile 6: Zeile 12:
==Verbrennt mich==
==Verbrennt mich==
-
>>>> > Zwei Tage nach der Bücherverbrennung, am 12. Mai 1933,  
+
>>>> > Zwei Tage nach der Bücherverbrennung, am 12. Mai [[1933]],  
>>>> > veröffentlichte Graf diesen Artikel in der Wiener Arbeiterzeitung:  
>>>> > veröffentlichte Graf diesen Artikel in der Wiener Arbeiterzeitung:  
>>>> > "Verbrennt mich  
>>>> > "Verbrennt mich  
>>>> >  
>>>> >  
-
>>>> > Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen  
+
>>>> >  
 +
 
 +
Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen  
>>>> > Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des  
>>>> > Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des  
>>>> > neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen  
>>>> > neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen  
Zeile 21: Zeile 29:
>>>> > harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung.  
>>>> > harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung.  
>>>> >  
>>>> >  
-
>>>> > Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und - was am Schlimmsten  
+
>>>> >  
 +
 
 +
Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und - was am Schlimmsten  
>>>> > ist - die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem  
>>>> > ist - die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem  
>>>> > Konzentrationslager zu entgehen. Die schönste Überraschung aber  
>>>> > Konzentrationslager zu entgehen. Die schönste Überraschung aber  
Zeile 30: Zeile 40:
>>>> > einer der Exponenten des "neuen" deutschen Geistes zu sein!  
>>>> > einer der Exponenten des "neuen" deutschen Geistes zu sein!  
>>>> >  
>>>> >  
-
>>>> > Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach  
+
>>>> >  
 +
 
 +
Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach  
>>>> > verdient? Das "Dritte Reich" hat fast das ganze deutsche  
>>>> > verdient? Das "Dritte Reich" hat fast das ganze deutsche  
>>>> > Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der  
>>>> > Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der  
Zeile 42: Zeile 54:
>>>> > durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen.  
>>>> > durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen.  
>>>> >  
>>>> >  
-
>>>> > Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste  
+
>>>> >  
 +
 
 +
Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste  
>>>> > freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf  
>>>> > freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf  
>>>> > dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde  
>>>> > dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde  
Zeile 53: Zeile 67:
>>>> > Liste sein kann!  
>>>> > Liste sein kann!  
>>>> >  
>>>> >  
-
>>>> > Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben  
+
>>>> >  
 +
 
 +
Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben  
>>>> > und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu  
>>>> > und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu  
>>>> > verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des  
>>>> > verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des  
Zeile 81: Zeile 97:
  Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch,  
  Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch,  
  Verbrennt mich!
  Verbrennt mich!
 +
 +
 +
An die Nachgeborenen
 +
 +
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
 +
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
 +
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
 +
Hat die furchtbare Nachricht
 +
Nur noch nicht empfangen.
 +
 +
Bertolt Brecht
 +
 +
https://www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=iataBl9FC2s

Version vom 9. Juli 2018, 15:39 Uhr

Wollt Ihr nun wissen,

was und wer ich bin, so sage ich: Mir ist als Bub von zehn bis zwölf Jahren so gründlich wie vielleicht keinem der Glaube an das Menschliche im Menschen herausgeprügelt worden, daß es viele Jahrzehnte, fast bis an die Grenze meines Greisenalters, gebraucht hat, bis ich wenigstens einiges von diesem Glauben wieder zurückgewinnen konnte.

Und ohne diesen Glauben kann kein Mensch existieren. Meine einzige Rettung war, daß ich - um nicht einfach eines Tages meinem Leben den Garaus zu machen - mit einer bohrenden Verbissenheit ohnegleichen stets vor mir selber und der Öffentlichkeit Beichte ablegte, mich derart entlarvte und bloßstellte, bis es mir vor mir selber unsagbar graute. Und da es in der Natur jedes Menschen liegt, stets von sich auf andere zu schließen, so kann man sich denken, welche Erschütterungen dieses sich immer wiederholende Grauen in mir hervorgerufen hat. Es steigerte sich schließlich zum ohnmächtigen Eingeständnis, daß der Mensch eine unergründliche Fehlleistung der Schöpfung ist, wie ein Blatt im Wind hilflos ausgeliefert den Mächten seiner Herkunft, seines mühseligen Werdens und den dunklen, fast unbezwingbaren Trieben.

Das trieb mich zum Schreiben, und das, daß auch der Mitmensch dadurch ermutigt wird, so in sich zu schauen und dadurch zu einer Verträglichkeit mit seiner Umwelt zu kommen, war einzig und allein der Sinn meines ganzen Schaffens und Wirkens.

OskarMariaGraf (Beschreibung eines Volksschriftstellers)


Verbrennt mich

>>>> > Zwei Tage nach der Bücherverbrennung, am 12. Mai 1933, >>>> > veröffentlichte Graf diesen Artikel in der Wiener Arbeiterzeitung:

>>>> > "Verbrennt mich >>>> > >>>> >

Wie fast alle links gerichteten, entschieden sozialistischen >>>> > Geistigen in Deutschland, habe auch ich etliche Segnungen des >>>> > neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen >>>> > Abwesenheit aus München erschien die Polizei in meiner dortigen >>>> > Wohnung, um mich zu verhaften. Sie beschlagnahmte einen >>>> > großen Teil unwiederbringlicher Manuskripte, mühsam >>>> > zusammengetragenes Quellenstudien- Material, meine sämtlichen >>>> > Geschäftspapiere und einen großen Teil meiner Bücher. Das alles >>>> > harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung. >>>> > >>>> >

Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und - was am Schlimmsten >>>> > ist - die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem >>>> > Konzentrationslager zu entgehen. Die schönste Überraschung aber >>>> > ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut "Berliner Börsencourier" >>>> > stehe ich auf der "weißen Autorenliste" des neuen Deutschlands, >>>> > und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes "Wir >>>> > sind Gefangene", werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, >>>> > einer der Exponenten des "neuen" deutschen Geistes zu sein! >>>> > >>>> >

Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach >>>> > verdient? Das "Dritte Reich" hat fast das ganze deutsche >>>> > Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der >>>> > wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner >>>> > wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen >>>> > ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die >>>> > Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und >>>> > der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden >>>> > Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und >>>> > Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff "deutsch" >>>> > durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. >>>> > >>>> >

Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste >>>> > freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf >>>> > dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde >>>> > verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in >>>> > den Freitod getrieben werden. Und die Vertreter dieses >>>> > barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch >>>> > rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer >>>> > "Geistigen" zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte "weiße >>>> > Liste" zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze >>>> > Liste sein kann! >>>> > >>>> >

Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben >>>> > und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu >>>> > verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des >>>> > Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen >>>> > Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande >>>> > gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber >>>> > wird unauslöschlich sein wie eure Schmach! Alle anständigen >>>> > Zeitungen werden um Abdruck dieses Protestes ersucht."

http://karldietz.blogspot.de/2013/05/oskar-maria-graf-verbrennt-mich-1933.html


Bert Brecht - Die Bücherverbrennung

Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen
Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben
Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern
Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte
Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der
Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine
Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch
Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber. 
Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich! 
Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht
Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt
Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch, 
Verbrennt mich!


An die Nachgeborenen

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende Hat die furchtbare Nachricht Nur noch nicht empfangen.

Bertolt Brecht

https://www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=iataBl9FC2s

Meine Werkzeuge