Stadtjugendring Stuttgart
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Gegenwart und Geschichte
Stadtführerin Elisabeth Marquart gegen Extremismus
Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen will sich die ehrenamtliche Stadtführerin Elisabeth Marquart in Vaihingen auf die "Spuren von Stadtteilgeschichte(n)" machen und das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus anhand von Biografien und Alltagsbegebenheiten anschaulich beleuchten. Auf ihren spannenden Streifzügen wird sie das Stuttgarter Wochenblatt begleiten und in loser Folge darüber berichten. Heute: Die Trutzburg auf der Rohrer Höhe - das einstige HJ-Heim am Thingplatz.
ROHR - Weithin müssen die Flammen sichtbar gewesen sein, die sich züngelnd in den Nachthimmel fraßen. Nicht ohne Grund haben sich die Nationalsozialisten für ihre Sonnwendfeuer die Freifläche an der Thingstraße ausgesucht, die sich hoch über Vaihingen erhebt, einen grandiosen Blick bietet und seit 1935 den Namen Thingplatz trägt. Als Thing wurden Volks- und Gerichtsversammlungen nach dem alten germanischem Recht bezeichnet. Nicht selten dienten diese kultischen Zwecken. Und auch die Nazis pflegten mit den eindrucksvoll inszenierten Höhenfeuern einen Kult. "Es sollte Magie sein für die Deutschen", meint Elisabeth Marquart, die auf einer Holzbank des Thingplatzes sitzt und hinunterschaut auf die Dächer Vaihingens. "Die Feuer sollten zur Gemeinschaft mahnen und die Jugend faszinieren." Um letztere geht es auch der Sozialpädagogin, die seit rund sieben Jahren für den Stadtjugendring im Stuttgarter Norden Stadtrundfahrten auf den Spuren des Nationalsozialismus anbietet. Jetzt startet sie - gemeinsam mit dem Stadtjugendring - in Vaihingen ein neues Projekt. Überschrieben ist es mit "Auf den Spuren von Stadtteilgeschichte(n)".
Elisabeth Marquart will Jugendlichen ab der fünften Klasse die für sie ferne Zeit des Nationalsozialismus in Rundgängen mit Themenschwerpunkten wie "Kindheit- und Jugend im Nationalsozialismus" oder "die Industrie und Geschäftswelt in der NS-Zeit", näherbringen.
An Orten in Vaihingen, an denen sich Gegenwart und Geschichte begegnen können, will die ehrenamtliche Stadtführerin anschaulich und anhand konkreter Biografien und Alltagsbegebenheiten Geschichte erlebbar machen. "Ziel ist es, für Toleranz und gegen Extremismus zu stehen", erklärt Elisabeth Marquart.
Mit Achtklässlern der Freien Evangelischen Schule Vaihingen ist sie bereits - unabhängig vom Projekt - auf historische Spurensuche gegangen. Dabei hat sie die Schüler ins nur wenige Schritte vom Thingplatz entfernte einstige Heim der Hitlerjugend (HJ) geführt. Lange hatten die Nazis dereinst nach einem geeigneten Haus oder einer Scheune für die Jugend gesucht. Die Brauerei Leicht stellte ein Provisorium auf ihrem Firmengelände zur Verfügung, bis schließlich auf gemeindeeigenen Flächen ein neues Schulhaus, eine Turn- und eine Festhalle, ein Freilichttheater und eben das HJ-Heim entstehen sollten, "zur Volkserholung und als Festanlage", wie es in der Ausschreibung zum Projekt hieß. 47 Entwürfe von Architekten gingen daraufhin ein. Den Zuschlag erhielt das Büro Holstein und Rohrberg. "Das ist die Baugenehmigung, unterschrieben vom ehemaligen Vaihinger Bürgermeister Heller" sagt Elisabeth Marquartund deutet auf den Stempel des Bauplans, den sie ausgebreitet hat.
Im Jahr 1939 ist „einer der schönsten Bauten“, wie die Zeitung „Filderbote“ in einem Artikel vom 19. August 1939 über das HJHeim auf der Rohrer Höhe schreibt, fertig gestellt. Die Ostmarkschule, die heute Pestalozzischule heißt und die kleine Turnhalle bei der Schule wurden ebenfalls erbaut. „Doch die Festhalle und das Freilichttheater konnten nicht mehr realisiert werden“, erzählt Elisabeth Marquart. „Der Krieg hatte begonnen“, erklärt sie und bleibt kurz vor dem Eingang des ehemaligen HJ-Heims stehen. Das mit Sandsteinen verkleidete Backsteingebäude taucht unvermittelt aus der idyllischen Landschaft ringsum auf. Wie eine Trutzburg erhebt es sich über Vaihingen.
Seit drei Jahren ist er Schulleiter in dem geschichts trächtigen Haus, dass er „mittlerweile gar nicht mehr so unfreundlich“ findet. Seit dem Umbau, der sehr klein ausfiel, da das ehemalige HJHeim unter Denkmalschutz steht, sei es „relativ lebendig“. Die Böden sind hell, bunte Tücher hängen von der Decke herab und lassen diese nicht mehr ganz so hoch erscheinen. Die Nazi-Vergangenheit, ihres Schulhauses beschäftigt die Schüler dennoch nach wie vor, weiß Hermann. Manch Schüler sei schon aufgeregt zu einem Lehrer gerannt und habe gerufen: „Ich habe gerade den Geist von Adolf Hitler spuken sehen“.
Da er selbst in Sachen Archivsuche an seine Grenzen gestoßen ist, freut es Martin Hermann umso mehr, dass Elisabeth Marquart historische Stadtteilrundgänge für Jugendliche anbietet, bei denen auch am HJ-Heim Halt gemacht wird. „Es ist ein tolles Projekt“, lobt er, „bei dem die Schüler für die Geschichte sensibilisiert werden.“ Schade findet er jedoch, dass sich bislang kaum Zeitzeugen gefunden haben. Elisabeth Marquart ist dabei, welche für ihr Projekt zu gewinnen, das ohnehin erst am Anfang stehe. Demnächst will sie bei ihrer Archiv-Recherche ein weiteres Kapitel aufschlagen: Arbeitslager und Zwangsarbeiter im Stadtteil während der Nazi-Zeit. „In Vaihingen“, sagt sie, „liegt diesbezüglich noch so viel brach.“
Weitere Infos und Anmeldung zu den Stadtteilrundgängen „Auf den Spuren von Stadtteilgeschichte(n)“ gibt es bei Anais Delpeuch vom Stadtjugendring Stuttgart unter Telefon 0711/2 37 26-31 oder bei Elisabeth Marquart unter 0711/ 7 35 25 74, oder per Mail unter elisabeth_marquart@yahoo.de. de
30.08.2007
http://www.stuttgarter-wochenblatt.de/stw/page/detail.php/1504463
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