Rupert Leser
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Rupert Leser
Morgenrasur im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Bad Schussenried März 1972 s/w-Fotografie Stuttgart, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Archiv Rupert Leser
Die Zustände in den psychiatrischen Anstalten der Bundesrepublik führten zu Beginn der 1970er Jahre zur Bildung einer Enquête-Kommission, die im Auftrag des Deutschen Bundestages einen Lagebericht zur Patientenversorgung erstellen sollte. Schnell wurde klar, dass die untersuchten stationären Einrichtungen schwerwiegende Mängel aufwiesen und viele Patienten "unter elenden, zum Teil als menschenunwürdig zu bezeichnenden Umständen" untergebracht waren. In der Diskussion um solche Missstände ergriff 1972 das Psychiatrische Landeskrankenhaus in Bad Schussenried die Flucht nach vorne. Der neue Ärztliche Direktor des PLK hatte sich aus Protest gegen Mittelkürzungen an die Presse gewandt und im März dieses Jahres den Fotografen Rupert Leser eingeladen, für einen Tag am Leben der Patienten teilzunehmen. Lesers Aufnahmen illustrierten zwei Aufsehen erregende Artikel in der Schwäbischen Zeitung, die zu einer Anfrage im Stuttgarter Landtag führten.
Lesers Fotos halten fest, was die Klinikleitung bewegte: eine völlig überfüllte Station in Behelfsquartieren mit unzureichender Personalausstattung. Daraus resultierte eine Abfertigung der Patienten nach militärisch anmutenden Organisationsformen. Rasieren stand zwei Mal die Woche an. Um 450 männliche Insassen zu bedienen musste das wie am Fließband gehen. Bei schönem Wetter wurde die Prozedur ins Freie verlegt. Doch Lesers Aufnahmen sind alles andere als reißerisch. Das "Auge Oberschwabens", wie der Fotograf aus Bad Waldsee schon genannt wurde, wahrt stets diskret die Distanz des Beobachters. Seine Bilder kennen keine Inszenierung. So gelingt es ihm das Elend der Verhältnisse aufzuzeigen ohne die Würde der Beteiligten zu verletzen.
Als Bildreporter für die Schwäbische Zeitung war Rupert Leser eine Institution. Über Jahrzehnte hinweg hat er das das Alltagsgeschehen in der Region mit der Kamera dokumentiert. Seine Schwarzweißreportagen sind für Oberschwaben ein fester Bestandteil der Zeitgeschichte geworden. Sein Ruf als Reporter verdankt sich jedoch seiner zweite Leidenschaft: der Sportfotografie. Leser war seit den Sechzigerjahren einer der bekanntesten Sportfotografen in Deutschland. Allein zwölf Mal hat er von Olympischen Spielen berichtet. Sein umfangreiches Bildarchiv hat Leser vor wenigen Jahren dem Haus der Geschichte in Stuttgart überlassen, das derzeit unter dem Titel "Von Bad Waldsee nach L.A." eine sehenswerte Ausstellung zum Lebenswerk von Rupert Leser zeigt, darunter auch Aufnahmen der Reportage aus Bad Schussenried. Seine eindringlichen Bilder haben damals ihre Wirkung nicht verfehlt. Wenige Monate nach der Veröffentlichung konnten die Patienten des Landeskrankenhauses in bessere Unterkünfte umziehen.
Literatur: Zustände. Fotoreportagen aus der Psychiatrie von Rupert Leser, hrsg. von den Zentren für Psychiatrie Bad Schussenried und Zwiefalten, Zwiefalten 2005.